12 DER KAPITALISMUS. WACHKOMAPATIENT 2020 MIT JAN OFF

Jan Off
Der Kapitalismus ist im Haus. Er ist in jeder Mauer, jedem Stein, jeder Fuge und er hat dir etwas mitgebracht: Ver-ach-tung! Ver-ach-tung! Ver-ach-tung!
Er ist der Zuhälter, der dir, kaum dass er dich zugeritten hat, ins Gesicht spuckt. Keine Sekunde später kommt er dir wieder mit Liebesschwüren, bevor er dir zweimal in kurzer Folge mit der flachen Hand auf die Ohren schlägt oder dir die Finger so weit überdehnt, dass du schreien möchtest (merke: Verletzungen möglichst unsichtbar halten).
Ka – wie kaputtmachen ist moralisch vertretbar, wenn es dem Wachstum dient
pi – wie Pisse trinken würdet ihr alle, wenn nur das richtige Label drauf klebt
ta – wie Tabletten halten den Laden zusammen
lis – wie Listen führen ist wichtig
mus – wie muss ja, muss ja gemacht werden, muss endlich angegangen, projektiert/hochgezogen, muss endlich gerodet/planiert/abgewickelt werden
muss sich dabei aber auch immer lohnen, muss sich rentieren, muss was abwerfen.
Und damit es was abwirft, muss auch mal Ballast abgeworfen werden, Menschen zum Beispiel oder Ökosysteme. Aber das nur am Rande.
Hauptsache, alles wird zur Ware. Liebe, Arbeit, Sport, sogar der Widerstand, sogar die Revolten – ehe du dich versiehst, werden Bücher, Filme, Fernsehserien draus, ist es gerade dein Aufschrei gegen das Bestehende, der die Kassen klingeln lässt.
Keine Frage, der Kapitalismus ist ein Kapitalverbrechen. Mitschuldig sind du und ich und alle anderen, die das funkelnde, mit reichlich Bling-Bling verzierte Hamsterrad tagtäglich mit einem Elan vorantreiben, als ob ihr Leben davon abhinge.
Die Arbeitskraft verkaufen, die Kreativität verkaufen, die Lebenszeit verkaufen, gegen Markennamen eintauschen, gegen Must-haves eintauschen, gegen noch mehr Fun und Action eintauschen, noch mehr Megapixel, noch mehr Hubraum, noch mehr Style.
Den Trends hinterherjagen, den Zeitgeist erkennen, vor allem aber das Selbst optimieren, Schritte zählen, Kalorien zählen, Orgasmen zählen, Mitesser zählen, die Gehirnaktivität vermessen, damit auch dein Marktwert steigt, damit auch dein Konto aufgestockt wird mit Clicks und Likes und Followern und Kommentaren wie „richtig nice dein äußerer schräger Bauchmuskel“.
Traurig das Ganze, sicher. So traurig wie ein Pärchen in Fußballklamotten. Wie eine Schultüte voller Katzenstreu. Wie Oralverkehr mit einem IKEA-Regal.
Was aber tun angesichts der Tatsache, dass es so schwer scheint, diesem üblen Untoten auch nur ansatzweise beizukommen?
Es gibt exakt drei Möglichkeiten:
Erstens: Du ziehst tief in die Wälder und ernährst dich hinfort von Eicheln und Bucheckern. (Lecker Bucheckern-Marmelade)
Zweitens: Du pflegst und hegst deine Verdrängungswerkzeuge und stopfst dich weiterhin mit Wodka, Dope und Onlinepoker voll. Mit Botox, Breaking Bad und Poweryoga.
Die dritte Möglichkeit liegt auf der Hand. So passgenau wie ein Pflasterstein. Heb‘ ihn auf und schlag ihn dir kräftig gegen den Kopf.

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